Die Stimmen der SexarbeiterInnen Die Realität sieht anders aus als es die Moralisten gerne hätten.

Von Tom Deckard 14. Juni 2021

Moralisierende, meist rechtskonservative Kreise lieben es zu betonen, dass das Sexgewerbe von Missbrauch und Menschenhandel durchdrungen sei. Niemand der Sexarbeit leiste, würde das freiwillig tun, behaupten sie. Und auf der linken Seite stimmen ihnen verwirrte Feministinnen wie Alice Schwarzer zu, mit Aussagen wie "jeder Akt der Prostitution ist Vergewaltigung".

Der Albtraum solcher Leute sind die Stimmen der SexarbeiterInnen. Denn die Meisten von ihnen sagen etwas Anderes.

Natürlich darf man nicht vergessen, dass es durchaus tragische Schicksale, Menschenhandel und Missbrauch gibt. Solche Extremfälle werden in reisserischen Presseartikeln gross präsentiert um die Sexarbeit weiter zu stigmatisieren, zusammen mit der Meinung von SozialarbeiterInnen und SittenpolizistInnen die logischerweise nichts Anderes kennen als Problemfälle. Beamte haben gar keinen Zugang zur Mehrheit der SexarbeiterInnen, denn diese braucht und wünscht keinen Kontakt mit ihnen. Deshalb ist das Bild das mit diesen Beispielen wiedergegeben wird stark verzerrt.

Ganz anders bei mir an der Dominaschule. Neben Frauen jeden Alters, die sich für eine Veränderung in ihrer privaten Beziehung interessieren, kommen viele Liebesdienerinnen zu mir um sich weiter zu bilden. Keine von ihnen könnte man als tragisches Beispiel heranziehen. Diese Frauen sind selbstbestimmt und stolz auf ihre Unabhängigkeit. Sie leben hier, kommen regelmässig für eine bestimmte Zeit nur für die Sexarbeit in die Schweiz oder arbeiten international als Escort. Im Theoriekurs sprechen wir unter Anderem auch über ihre Situation und ihre Ziele, und aus diesem Input kann ich folgende Vorurteile so beantworten:

Sexarbeit macht man nur weil man dazu gezwungen ist! Die meisten meiner Schülerinnen sagen dazu klar, dass die Alternative bedeutet, viele Stunden für einen Niedrigstlohn zu arbeiten. Das fühle sich für sie viel mehr wie Sklavenarbeit an. Als SexarbeiterInnen sind sie unabhängig, arbeiten wann und wo sie wollen. Auch wenn nicht immer jeder Kunde angenehm ist, ist ihnen diese Arbeit dennoch lieber.

Es gilt aber auch zu unterscheiden: Die Arbeit in einem Club, auf Prozente oder auf dem Strassenstrich ist etwas ganz Anderes als die unabhängige Arbeit, bei der die Sexarbeiterin nur ein Zimmer mietet oder als Escort eingeladen wird, ihre Inserate selbst bezahlt und sonst nichts von ihrem Einkommen abgibt.

Sexarbeit macht man nur weil man keine höhere Bildung hat! Logischerweise ist der Anteil an Menschen ohne Berufsbildung bei SexarbeiterInnen gross. Aber ich kenne auch viele Frauen, die nach oder während dem Studium Sexarbeit machen oder die von einem stressigen Beruf (oft in der Pflege oder im Verkauf) genug hatten und sich dank Sexarbeit selbstständig machen konnten. Für nicht wenige Migrantinnen ist die Sexarbeit ein willkommenes Sprungbrett. Aber auch Schweizerinnen finanzieren sich so ein Studium oder eine Ausbildung. Für beide kann das eine Lösung sein, um aus der Falle der Niedriglohnarbeit zu entkommen.

Andererseits gibt es aber auch all die international arbeitenden Escorts, die oft ein Luxusleben führen, viel herumreisen und in teuren Hotels logieren. Sie benötigen ein hohes Bildungsniveau und gute Sprachkenntnisse, um als Begleiterinnen ihren anspruchsvollen Kunden gerecht zu werden.

Sexarbeit macht man nicht aus Spass! Hier können sich ewiggestrige Moralisten nun endgültig von ihren falschen Vorstellungen verabschieden. Denn nicht selten berichten mir Schülerinnen, dass sie die Sexarbeit und Escort-Arbeit geniessen. Dass sie sich attraktiv und begehrt fühlen, weil ihre Kunden sie auf viele Arten verwöhnen. Ich habe dazu einige Aussagen von Sexarbeiterinnen auf Twitter zusammen getragen, die ähnliches sagen wie meine Schülerinnen (siehe Screenshots unten).

Freier sind Vergewaltiger! SexarbeiterInnen sind keine Püppchen, die vom Freier genötigt und bestiegen werden. Wenn ein Kunde das Zimmer betritt, gibt die SexarbeiterIn den Tarif durch. Sie bestimmt was sie akzeptiert und was nicht, sagt was es kostet und schickt den Kunden zuerst einmal unter die Dusche. Eine Schülerin sagte mir mal: "Ein Kunde an der Bar wollte mit mir aufs Zimmer. Ich sah seine dreckigen Schuhe und lehnte ab. Das geht bei mir gar nicht."

Die Kunden sind in der Regel eher schüchtern oder gar gehemmt. Immerhin kommen sie mit ihren intimsten Gedanken zu ihrer DienstleisterIn und hoffen auf Verständnis und Zuneigung.

Die meisten Kunden verehren ihre Lady, ihren Trans oder Boy. Sie respektieren sie. Bringen Geschenke. Und öfters als man denkt wollen sie einfach nur reden oder kuscheln.

Du machst Dir etwas vor und redest nur alles schön! Natürlich gibt es auch die Sorte von Kunden die nur das Billige suchen. Auf dem Strassenstrich, mit Dirnen unter Druck durch Alkohol und Drogenabhängigkeit, da sieht es möglicherweise anders aus. Ich habe einen Kollegen gefragt, der als Trans auf dem Strichplatz in Zürich arbeitet. Aber er sagte, auch dort sind Probleme eigentlich Einzelfälle. Klar. Auf diesem Platz sind ja auch Sozialarbeiter präsent.

Hier spricht ein Escort-Girl über ihre Erfahrungen (Youtube video).

Und wenn man sich entscheidet, nicht selber wochenweise ein Zimmer zu mieten (wenn wenig läuft verdient man möglicherweise weniger als man für das Zimmer ausgegeben hat), sondern für Prozentanteile in einem Bordell zu arbeiten (meistens für 50%), kann man auf einen Bordellbetreiber treffen, der zu viel Druck aufsetzt. Aber da muss man dann auch nicht bleiben.

Sexarbeit unter Zwang kann es im Extremfall geben. Aber genau so auch sklavenartige Bedingungen in der Seniorenbetreuung. Es ist bei beiden nicht das was die Branche ausmacht. Weshalb wird aber nur die Sexarbeit wegen der Extrembeispiele stigmatisiert?

Und was versteht man unter Zwang? Eine Organisation oder Zuhälter vor Ort, welche Frauen auf den Strich schicken sind zu leicht aufzudecken. In einigen bekannten Fällen geht es um den sogenannten "Loverboy", für den sich eine Frau aus Liebe prostituiert. Schwieriger einzuschätzen sind kriminelle Banden die in der Heimat einer Migrantin mit Zugriff auf ihre Familie drohen. Die meisten Fälle von Zwang sind jedoch indirekter Natur; wie die ins Ausland gereiste Tochter, die sich verantwortlich fühlt, der Familie in der Heimat ein besseres Leben zu finanzieren. Die Familie weiss nicht woher das Geld tatsächlich kommt. Aber sie hat Erwartungen an das Familienmitglied das im reichen Ausland arbeitet und setzt so unbewusst Druck auf.

Sex zu haben ist kein Menschenrecht! Dieses Scheinargument ist absichtlich verkehrt herum gedacht. Es geht nicht um das Recht darauf Sex zu bekommen sondern um das Recht, Sex anzubieten. Das Argument soll von den wahren Absichten der Moralisten ablenken, denn im Kern geht es ihnen nur darum das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung zu unterdrücken.

Den Moralisten geht es nicht darum, Frauen vor Missbrauch oder Menschenhandel zu schützen. Tatsächlich gibt es nur einen Grund weshalb das Thema Prostitution sie so dermassen anstachelt:

Sexarbeit vereint gleich zwei Dinge, die Konservative verhindern wollen; nämlich die sexuelle und die finanzielle Befreiung der Frauen.

Sogar viele Feministinnen haben das bis heute nicht begriffen und lassen sich stattdessen immer noch von den Moralisten instrumentalisieren.

Eine Sache will ich hier einmal ganz deutlich klarstellen: In den Fällen in denen Sexarbeitende schlecht behandelt wurden liegt die Ursache praktisch immer bei Stigmatisierung und religiösen Moralvorstellungen. Einige Leute sind davon so verblendet dass sie Prostituierte nicht als Menschen betrachten; sie denken es sei eine Rechtfertigung um Prostituierte zu misshandeln und Frauen auszubeuten. Und genau diese Leute, die für die Verbreitung solcher Stigmas und falscher Moral verantwortlich sind, wollen mit dem Sexkaufverbot (Nordisches Modell) die Situation für Sexarbeitende bewusst noch verschlimmern, unter dem scheinheiligen Vorwand etwas gegen Missbrauch tun zu wollen, während in Wahrheit ihr einziges Interesse der Durchsetzung ihrer Moralvorstellung dient – was wiederum die Quelle des Missbrauchs ist.

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